Montag, 10. Oktober 2016
Zwischenbericht: Auf eigenen Füßen
Absturz übers Wochenende. Jeden Morgen stundenlang heulend beim Pflegepersonal gesessen. Anspannung, Angstattacken, Erbrechen, schlechter Schlaf. Die fragen natürlich auch immer nur, was mir hilft, was mir gut tut, und ich weiß es in diesen Momenten einfach nicht.
Immer öfter kam in den letzten Tagen der Hinweis, ich solle mal versuchen, endlich ohne Therapie auszukommen, ohne Klinikaufenthalte, ich solle üben, auf eigenen Füßen zu stehen und zu lernen, was mir gut tut und was ich will, vor allem beruflich. Eine Therapeutin heute sagte, diese Abstürze seien auch eine Möglichkeit, an Aufmerksamkeit, Verständnis und Liebe zu kommen. Ich wisse nicht, wie ich mir das auf „gesunde“ Weise holen kann, und deswegen müsse ich immer so krank werden. Ich suche unbewusst eine Möglichkeit, immer in Therapie zu bleiben, immer wieder jemanden in meinem Leben zu haben, der mir hilft, der sich kümmert, immer wieder von meinen Freunden und meiner Familie betüddelt zu werden. Den Hinweis verstehe ich. Ich sehe ja auch ein, dass ich nicht ewig in Therapie sein kann, dass ich mich irgendwann den Lebensrealitäten stellen muss. Aber wenn mein Unbewusstes dann SOLCHE Reaktionen hervorzaubert, fühle ich mich auch irgendwie machtlos.

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Mittwoch, 5. Oktober 2016
Pälzisch für Anfänger
Liebe Leser, hiermit melde ich mich aus der Pampa. Vier Wochen Kontaktsperre und fehlendes W-Lan in der Klinik (ist nur für Privatpatienten zugänglich, und sonst gibt es im Ort nur einen Hotspot, wo man eine Stunde täglich in der Kälte sitzen und surfen kann) ließen meinerseits keine Mitarbeit an diesem Blog zu. Aber jetzt sitze ich hier draußen und kann berichten!
Auf den ersten Blick ist das hier ein ganz weltfremder Laden. Pampa, Wald, Berge, Menschen mit psychischen Erkrankungen und ohne Handy oder sonstigem Kontakt zur Außenwelt. Die ersten Tage konnte ich mich auch nur schwer drauf einlassen und habe fast den ganzen Tag im Zimmer gehockt und geweint. Dann ging es eine Woche lang bergauf, dann ging es eine Woche lang wieder schlecht und ich wollte alles abbrechen und mich zu Hause verschanzen, und jetzt fühle ich mich eigentlich ganz wohl. Ich bin umgeben von netten Menschen. Klar, ein paar Quoten-Idioten sind immer dabei. Eine Frau zum Beispiel atmet und weint überall, wo Gruppen zusammentreffen, so laut und emotional, dass man sich kaum noch unterhalten kann, hat dabei aber riesige Kopfhörer auf und will offensichtlich nicht angesprochen werden. Ein Mann eckt an, indem er die ostdeutschen Mitpatienten mit Stasi-Rängen anredet. Dann gibt es eine, die die inoffizielle Klinikketza (der Ketar hat theoretisch ein Zuhause, dort geht er aber nur zum Essen hin, den Rest des Tages tigert er übers Klinikgelände, lässt sich streicheln und treibt in der Waschküche sein Unwesen) nachts zum Schlafen mit in Bett genommen hat, als sei das ihr persönliches Haustier. Dramen untereinander gibt es auch, ein Kerl zum Beispiel hat andauernd was mit verschiedenen Frauen angefangen und dann wieder fallenlassen, wenn es ihm zu langweilig wurde. Er reiste relativ schnell nach meiner Anreise ab, aber man spricht noch jetzt auf dem Klinikgelände über ihn und welche seiner Mätressen er angeblich am liebsten gemocht haben soll.
Aber größtenteils gestaltet sich das Zusammenleben hier harmonisch, jeder deckt mal für die anderen den Tisch und man geht gemeinsam gern in das einzige Café am Ort.

Über die Therapien könnte ich hier ganze Bücher schreiben, dafür reicht die eine Hotspot-Stunde nicht aus. Ich wollte nur mal einen Gruß da lassen und berichten, dass es mir ganz gut geht, natürlich mit den üblichen Schwankungen. Die werden allerdings durch das Klinikumfeld ein bisschen abgefedert. Neulich wachte ich nachts mit Angstattacken auf und dachte Och nö, nicht schon wieder. Aber wenn man dann erstmal die ersten drei-vier Pflichttermine pro Tag absolviert hat, geht es irgendwie dann doch. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass es dann zu Hause wieder nicht mehr geht. Dann bin ich nämlich offiziell völlig ratlos.

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Sonntag, 2. Oktober 2016
schleichende zombifizierung
nach drei tagen zopiclon heute am bislang "neutralsten" aufgewacht. fast ein wenig zombifiziert. an einem morgen wie diesem könnte ich wahrscheinlich sogar zu einem callcenterjob aufbrechen, ohne....moment.....nein.....irgendwo in der großhirnrinde, oder war es die amygdala....sorry miese anatomiekenntnisse....feuern die neuronen gerade widerständisches.
aber ein echtes gefühl wie ekel oder wut stellt sich bei dem gedanken an emnid und ähnliche beschissene buden nicht ein. obwohl sogar erinnerungen helfen eine audiovisuelle szene zu imaginieren, sogar mit bürogeruch drinne.
das telefonvieh und die aufseher, die hinkende supervisorin, die immer mies drauf war, die dicke grinsekatze, die grinsend erklärte, wie leicht man zu ersetzen wäre, bald vielleicht durch künstliche intelligenz...lässt mich alles ziemlich kalt, aber wohl nur, weil ich nicht wirklich hin muss.
wenn ich wirklich hin müsste, würde ich entweder gleich noch ein zopiclon einwerfen und entweder genau das richtige aufmerksamkeits-level erreichen, das ein marktforschungsjob braucht, oder doch am telefon einpennen und wenigstens gekündigt werden. oder (das übergeordenete oder) ich würde mich erst ein halbes jahr nur zudröhnen - und dann radikal entzug und amoklauf mit mehr toten in dem laden als charlie hebdo, paris november 15, würzburg und münchen zusammen. diese großraumbüros fassen viel.

ganz ohne emotion, ganz rational, schon leicht zombifiziert wie ich bin, stelle ich fest: es kann nicht genug amokläufe geben in dieser beschissenen welt.

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