Montag, 5. September 2016
Ley hüpft im Karree.
Aufregung.
Einfach nur das. Morgen geht es los. Ich weiß nicht, wie ich es überleben soll. Aufregung. Herzklopfen. Angst. Unwillen. Aber natürlich auch ein Wille. Ich will ja, ich weiß nur nicht, WIE es gehen soll. Nach all den Monaten AU hat sich doch eine gewisse Hoffnungslosigkeit angemeldet. Ich weiß nicht, wie ich die wieder loswerden soll. Aufregung. Nicht klar denken können. Peinlichkeit. Was denken eigentlich die Leute von mir. Was denke ich von mir. Ärger. Schon wieder Klinik, schon wieder Therapie, schon wieder das ganze. Mutlosigkeit. Traurigkeit. Ich dachte, ich wäre über den Berg, ich dachte, ich wäre das Schlimmste endlich los, aber so ist es nicht, ich bin immer noch am Anfang. Viele Wünsche. Aufregung. Wohin damit.

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Samstag, 3. September 2016
Boom.
Schon den ganzen Tag steht irgend jemand mit einer riesigen Boombox im Park direkt vor meinem Fenster und hört lautstark "Musik". Es macht mich wahnsinnig. Dass da überhaupt jemand steht und so einen Krach macht, und dass es dann ausgerechnet diese Art von Geräusch sein muss. Werde ich alt? Ja, das muss es wohl sein. In spätestens acht bis zehn Jahren werde ich mich aus dem Fenster hängen und runter keifen, die Jugend von heute solle sich am Riemen reißen und gefälligst ein bisschen Respekt zeigen vor den zivilisierten Leuten, die hier zu wohnen versuchen.

Ich kann das aber immerhin prima als Ausrede verwenden, um nicht meinen Klinikkoffer packen zu müssen. Ich bin so nervös vor diesem Klinikaufenthalt, auch wenn ich mich ganz freiwillig dafür entschieden habe. Ich weiß nicht, ob mir das wirklich helfen wird. Eigentlich bin ich ja überzeugt, dass solche Maßnahmen gut sind, aber jetzt kommen halt doch die Zweifel und Ängste. Und die Peinlichkeit. Wenn Leute nachfragen, warum denn, ich sei doch schonmal in sowas gewesen, was denn jetzt auf einmal los sei, dass ich da wieder hin will. Klar ist mir das peinlich, auch wenn ich weiß, dass es das nicht sein muss. Aber ich schäme mich dafür. Andere Leute kriegen ihr Leben auf die Reihe, ich nicht.

Jetzt sind da auch noch Leute im Park, die applaudieren und jubeln. Ich vermute, der Mensch mit der Boombox singt sogar selber?! Gottogott. Ghettogott.

Gestern vom Yoga verabschiedet. Heute vom Tanzkurs. Es wird ernst! Draußen sind irgendwelche Groupies und rasten aus. Ich bin neidisch. Also, dass die rumhüpfen und schreien und ausrasten können. Möchte ich jetzt auch. Aber nein, ich esse brav meine Spaghetti und überlege, welche Kosmetiktasche ich mitnehme, die hübschere oder die größere. Vermutlich werden es am Ende beide. Man muss zwar alles unterkriegen, aber man braucht ja auch was Schönes, fürs Auge!

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Freitag, 2. September 2016
Meine Angst spricht mit mir.
Ein absurdes Theaterstück in Gott sei Dank nur einem Akt


(Licht an. Auf der Bühne stehen zwei Stühle. Auf einem davon sitzt die Angst. Sie sieht zum Bühnenrand und ruft.)

Angst: Hey, Ley? Leeeey! Komm her! Schnell!

(Auftritt Ley.)

Ley: Was ist denn? Ich hab grad was zu tun.

Angst: Ja, aber ich will mit dir sprechen.

Ley: Warum denn?

Angst: Jetzt setzt dich doch mal zu mir.

(Ley setzt sich auf den freien Stuhl.)

Ley: Ja?

Angst: Du willst dich doch gleich mit Freunden treffen und einen Ausflug machen.

Ley: Ja. Ich wollte gerade alles zusammenpacken.

Angst: Ich wollte dich nur mal darauf hinweisen, was da alles schiefgehen könnte.

Ley: Was, wieso. Was soll da schon schiefgehen?

Angst: Du könntest ja zum Beispiel umkippen.

Ley: Ich bin seit Ewigkeiten nicht umgekippt. Das passiert schon nicht.

Angst: Weiß man's?

Ley: Ja, und selbst wenn: Dann sind doch meine Freunde da, die kümmern sich um mich.

Angst: Die stellen dann unangenehme Fragen. Davor hast du doch so Angst?

Ley: Ja, aber es passiert schon nicht!

Angst: Vielleicht passiert auch was Anderes! Du könntest jemanden treffen, den du nicht sehen willst!

Ley: Wir gehen wandern im Wald. Da taucht schon niemand auf, höchstens ein Eichhörnchen.

Angst: Wandern im Wald! Was, wenn da irgendwas passiert! Was, wenn du plötzlich nicht mehr kannst! Wann willst du dich ausruhen? Wann willst du essen? Das ist doch eine völlig ungewohnte Situation! Wie willst du das denn schaffen!

Ley: Weiß ich nicht, aber ich will da hingehen!

Angst: Das halte ich für eine schlechte Idee. Schon in der S-Bahn zum Treffpunkt wird dir jeder ansehen, wie blass und panisch du aussiehst. Die Leute in der Bahn werden dich darauf ansprechen. Jeder wird dich fragen, ob du Hilfe brauchst.

(Ley fängt an, nervös mit dem Fuß zu wippen und versucht, kontrolliert zu atmen.)

Angst: Du kannst es gar nicht verbergen, dass du mich immer dabei hast! Und ich, ich finde schon einen Grund, dir den Tag zu vermiesen! Was ist denn, wenn du es irgendwann nicht mehr aushältst und vor allen Leuten ausrastest? Anfängst, zu schreien, um dich zu schlagen, lauthals vor dich hin zu heulen?

Ley: Wie unwahrscheinlich ist das bitte. Ich bin noch nie in der Öffentlichkeit ausgerastet wegen dir.

Angst: Es heißt "deinetwegen". Hast du nicht auch Angst davor, dass die Leute feststellen, wie dumm du bist?

Ley: Ich bin noch nie ausgerastet wegen dir, und ich bin nicht dumm. Hör doch mal auf mit diesem Unsinn.

Angst: Das ist doch kein Unsinn, das sind ganz lebenspraktische Fragen. Was willst du den Leuten denn sagen, wenn sie es irgendwann bemerken. Der wackelnde Fuß da, der schwere Atem. Du bist nicht arbeitsfähig, du bist nicht lebensfähig. Nicht, solange ich dabei bin! Und das merken dir alle an! Und davor hast du Angst!

(Die Angst lacht.)

Ley: Jetzt hör doch auf. Hör doch einfach auf.

Angst: Was willst du überhaupt machen, wenn es nachher regnet? Was, wenn du krank wirst? Erbrechen musst? Was, wenn die S-Bahn ausfällt? Was, wenn ihr einem Wildschwein begegnet, das euch angreift?

Ley: Es reicht jetzt. Das wird alles nicht passieren, und wenn doch, dann denke ich darüber nach, sobald das Problem da ist.

Angst: Ach so. So vernünftig. Nun, du weißt, ich kann auch anders. Ich kann auch ganz unspezifisch. Ich brauche keine besonderen Argumente, um da zu sein. Ich kann auch einfach nur sein. Ich muss gar nichts Konkretes befürchten.

(Die Angst setzt eine hässliche Maske auf, verwandelt sich in ein schreckliches Monster. Hektische Lichtblitze zucken über die Bühne. Die Angst brüllt und tobt.)

Ley (sichtlich weniger selbstbewusst als noch vorher): Ja, ich weiß. Ich kenne das. Ich gehe jetzt trotzdem wandern.

(Ley wendet sich ab. Die Angst wirft sich zu Boden und legt Ley eine schwere Fußfessel an.)

Angst: Wenn du mich schon hier zurücklässt, dann nimm wenigstens das hier mit! Damit du dich an mich erinnerst!

(Ley zieht ihr Bein nach und humpelt angestrengt und stark verlangsamt in Richtung Ausgang.)

Ley: Egal! Ich gehe TROTZDEM! Ich gehe, koste es was es wolle!

Angst: Du wirst viel zu spät kommen! So langsam, wie du jetzt vor dich hin humpelst!

Ley (aus dem Off): Na und! Dann komme ich halt zu spät! Aber ich komme! Davon wird mich nichts und niemand abhalten!

(Die Angst setzt sich wieder auf ihren Stuhl, nimmt die Maske ab und legt den Kopf in die Hand.)

Angst: Eins zu null für dich, Ley... Aber mal sehen, vielleicht komme ich noch nach.

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